Erschiessungen von Arbeitern

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24. April 1927

Während des Kapp-Putsches hatte der mit den Hochverrätern verbündete General von Lettow-Vorbeck die verfassungsmäßige mecklenburgische Regierung verhaften lassen und zur Terrorisieren der streikenden Arbeiterschaft auf Grund von Befehlen des Hochverräters General von Lüttwitz in Mecklenburg Standgerichte eingesetzt, denen republiktreue Arbeiter zum Opfer fielen. Kapp hatte verordnet:

Die Rädelsführer, die sich der in der Verordnung zur Sicherung volkswirtschaftlicher Betriebe und in der Verordnung zum Schutz des Arbeitswesens unter Strafe gestellten Handlungen schuldig machen, desgleichen die Streikposten, werden mit dem Tode bestraft. Diese Verordnung tritt am 16. 3.1920, 4 Uhr nachmittags, in Kraft. Der Reichskanzler gez. Kapp .“,“General von Lüttwitz hatte außerdem allen Truppenteilen telegraphisch folgende Bekanntmachung des „Reichskanzlers“ Kapp übermitteln lassen:

  • „Bitte allen Führern und Unterführern bis herab zu den Gruppenführern in meinem Namen bekanntzugeben, daß ich jede entschlossene Dienstauffassung, auch wenn sie im Zwange der Not gegen einzelne bisherige Bestimmungen verstoßen sollte, unbedingt anerkenne und persönlich decke…“

Erschiessungen von Wilhelm Wittge und Johann Steinfurth bei Wismar

Durch getreue Befolgung dieser Richtlinien zeichnete sich insbesondere das im März 1920 auf Veranlassung Lettow-Vorbecks in den Verband der meuternden Reichswehr aufgenommene Freikorps Roßbach aus. Am Morgen des 18. März 1920 fand in Niendorf bei Wismar bei dem Tagelöhner Wilhelm Wittge eine Versammlung streikender Arbeiter statt. Es wurde beschlossen, wegen einer Lohnforderung bei dem Gutsbesitzer Baron von Brandenstein vorzusprechen.

Dieser ließ aus Schwerin Militär kommen: Freikorps Roßbach , Reichswehrbrigade 9. In der Nacht fand bei Wittge eine Haussuchung statt. Anschließend wurde Wittge von den Soldaten mitgenommen. Einer sagte dabei zu Frau Wittge: »Nehmen Sie man gleich Abschied, in einer Stunde ist der Kerl eine Leiche!« Zusammen mit den Arbeitern Johann Steinfurth, Fritz Möller und Adolf Möller wurde Wittge vor das Gutshaus geschleppt. Baron von Brandenstein trat heraus, deutete auf Wittge und Steinfurth und sagte: »Das sind die Richtigen.«

Die beiden wurden noch in der Nacht erschossen, nachdem ein aus dem Leutnant Bender , dem Vizefeldwebel Billerbeck und dem Gefreiten Zimmermann bestehendes „Standgericht“ sie zum Tode verurteilt und Roßbach die sofortige Vollstreckung des „Urteils“ angeordnet hatte. Herr von Brandenstein wurde am 18. 3. 24, am Jahrestag der Ermordung Wittges , Ministerpräsident des Freistaates Mecklenburg-Schwerin .

Erschiessung von F. Slomky im Dorf Mecklenburg

Am gleichen 18.3.1920 leitete der Arbeiter F. Slomsky aus Karow in einer Gastwirtschaft im Dorfe Mecklenburg eine Versammlung streikender Arbeiter. Plötzlich fuhren mehrere Offiziere und etwa 60 Soldaten in ihren Autos vor und ließen die Arbeiter antreten. Der ebenfalls erschienene Rittergutsbesitzer Bachmann , bei dem Slomsky arbeitete, suchte die Rädelsführer heraus. Slomsky wurde verhaftet und schrecklich mißhandelt, während Bachmann sich mit einem Offizier unterhielt.
Dann trat das gleiche „Standgericht“, dem auch Wittge und Steinfurth zum Opfer gefallen waren, zusammen und fällte folgendes „Urteil“: Gemäß der Verfügung des Militäroberbefehlshabers Freiherr von Lüttwitz Nr. 15 (la Nr. 16313) wird der Arbeiter Slomsky, da er als Rädelsführer und mit der Waffe in der Hand zum Widerstand gegen die Truppe aufgefordert hat, mit dem Tode des Erschießens bestraft.

Slomsky wurde an seiner Wohnung vorbeigeführt, wo seine Frau und Kinder standen und schrecklich schrien. Kurz hinter dem Dorfe wurde er erschossen. Die Leiche brachte man der Witwe ins Haus.

Freisprüche für die Mörder

Die Staatsanwaltschaft in Schwerin / Mecklenburg stellte das Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder des „Standgerichts“ zunächst am 7. 10. 1920 mit der Begründung ein, daß der Tatbestand einer vorsätzlichen, bewußt rechtswidrigen Tötung nach Lage der Sache ausgeschlossen sei und eine fahrlässige Tötung unter den Amnestieerlaß vom 4. 8. 1920 (Kapp-Amnestie) falle. Im Jahre 1922 wurde das Verfahren gegen die Mitglieder des Standgerichts, den Gerichtsoffizier (Leutnant Linzenmeier), den Zeugen Leutnant Meincke und den Oberleutnant Roßbach wieder aufgenommen und Eröffnung der Voruntersuchung wegen Mordes beantragt. Das Mecklenburgische Landgericht, Strafkammer I, lehnte diesen Antrag am 19. Januar 1923 ab.

In der Begründung heißt es:
Die sämtlichen Angeschuldigten haben in den Tagen des sogen. Kapp-Putsches im März 1920 an einem gegen den Freistaat Mecklenburg-Schwerin und damit mittelbar gegen das Deutsche Reich gerichteten hochverräterischen Unternehmen mitgewirkt… Urheber und Führer des Unternehmens sind sie dagegen nicht gewesen… Aufgabe der Angeschuldigten, die einer militärischen Organisation, und zwar dem der Reichswehr angegliederten freiwilligen Sturmbataillon Roßbach angehörten, war es damals, den Widerstand, welcher den neuen politischen Machthabern des Kapp-Putsches bei Durchführung ihrer Anordnungen zum Schütze der vorher bestehenden staatlichen Zustände entgegengesetzt wurde, zu brechen… Demgemäß lag ihnen auch ob, die von der neuen sogenannten Kappregierung für strafbar erklärten Handlungen der widerstrebenden Elemente gegebenenfalls mittels gerichtlichen Verfahrens, sogenannten Standgerichten, zu ahnden …
Die rechtliche Grundlage für die Einsetzung und Zuständigkeit der Standgerichte am 18. März 1920 bildete der Zusatz des damaligen Militäroberbefehlshabers von Lüttwitz , zu der Verordnung Nr. 19 des damaligen Reichskanzlers und der bekanntgegebene Befehl des Führers der Reichswehrbrigade 9 als auch für das Detachement Roßbach zuständigen höheren Militärbefehlshabers von Lettow vom 16. März 1920..

Man beachte, daß der Hochverräter Kapp als „damaliger Reichskanzler“, die republiktreuen, gegen die Hochverräter streikenden Arbeiter jedoch als „widerstrebende Elemente“ bezeichnet werden. Für die zur Brechung des Widerstandes der Arbeiterschaft gegen den Putsch eingesetzten „Standgerichte“ der Hochverräter wird allen Ernstes eine „rechtliche Grundlage“ in Verordnungen der meuternden Generale gesehen.
Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Mecklenburgischen Landgerichts vom 19. 1. 1923 ordnete das Oberlandesgericht Rostock die Eröffnung der Voruntersuchung an (Beschluß vom 24. 2. 1923).

Nachdem das Verfahren sich weitere viereinhalb Jahre hingezogen hatte, kam es am 27.7.1927 sogar zu einem Haftbefehl gegen Roßbach, Bender und Meincke. Dieser wurde jedoch auf Beschluß der Ferienstrafkammer Schwerin vom 18. 8. 27 mit der Begründung aufgehoben, daß die Erschießungen auf Grund eines Standgerichtsurteils erfolgt seien. Mit der gleichen Begründung wurden die drei Hauptverantwortlichen dieses Arbeitermordes am 18. März 1928 – also acht Jahre nach der Tat – durch Beschluß der Schweriner Strafkammer endgültig außer Verfolgung gesetzt. Gumbel, dem die Ermittlung dieses Falles zu verdanken ist, kommentiert bitter: »Die von einem Deserteur bestätigten Urteile eines von einem meuternden General zur Bekämpfung der Republik eingesetzten >Standgerichts< werden damit als rechtsgültig anerkannt.

Heinrich Hannover – 1960