Taktik gegen die Arbeiter im Ruhrgebiet

Start » Novemberrevolution 1918/19 » Kapp-Putsch »

21. März 1920

Protokoll über die Sitzung des Reichsministeriums und Preußischen Staatministeriums vom 21. März 1920 im Reichskanzlerhause.

Tagesordnung.
1. Die Lage im rheinisch-westfälischen Industriegebiet
2. Bezahlung der Streiktage

1. Die Lage im rheinisch-westfälischen Industriegebiet.

Der Abgeordnete Schluchtmann gibt einen Überblick über die Lage im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Die kommunistische Armee müsse man auf 15 bis 20 000 Mann schätzen. Die militärischen Stellen in Münster und der Reichskommissar Severing seien der Ansicht, daß militärisch der Aufruhr nicht niederzuwerfen sei. Man müsse ihn vielmehr in sich selbst ausbrennen lassen, Zunächst sei es erforderlich, die operierenden Truppen, von denen ein Teil noch glaube, gegen Kapp zu kämpfen, durch Aufklärung auseinanderzubringen; Zeitungen, Flugblätter müßten hier wirken. In kurzer Zeit werde die Lebensmittelversorgung den kommunistischen Machthabern unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten; man solle daher erst verhandeln, wenn ihnen das Feuer auf den Nägeln brenne. Truppen in größerer Stärke müßten in der Nähe gehalten werden, dürften aber zunächst nicht eingreifen.

Der Herr Reichskanzler teilte mit, daß die in Berlin anwesenden kommunistischen Deputationen und ebenso die Oberbürgermeister von Essen und Hagen verlangt hätten, daß die Reichsregierung ihnen die Lebensmittelzufuhr aus Holland ermögliche. [ Zu den Verhandlungen mit der Reichsregierung waren Düwell ( KPD ) und die Oberbürgermeister Luther , Essen und Cuno , Hagen, erschienen (vgl. auch den Bericht des Oberbürgermeisters Cuno v. 10. Mai 1920, DZA Potsdam, Rk. u. Stk. Severing , Nr. 10, Bl. 16)]

Es sei ihnen erwidert, daß Holland Lebensmittel so lange nicht liefere, als die kommunistische Herrschaft im Industriegebiet bestehe. Der holländische Gesandte habe dies ausdrücklich bestätigt. [ Die Absicht der Reichsregierung, die kämpfenden Ruhrarbeiter durch Hunger zur Kapitulation zu zwingen, wurde nochmals ausdrücklich in der Reichsministeriumssitzung vom 27. März 1920 festgelegt: ,,Die Lieferung der Lebensmittel in das Ruhrgebiet solle natürlich erst erfolgen, wenn die Rote Armee die Waffen gestreckt hat“. (DZA Potsdam, Reichskanzlei, Nr. 493, nicht foliiert, Foto-Nr. D 744 165 — D 744 168.)  ]

Die Kabinette beraten in eingehender Aussprache darüber, ob es zweckmäßig sei, daß zwei Minister sich in die Nähe des Aufruhrgebiets begeben, um dort, ohne mit den Kommunisten zu verhandeln, für die nötige Aufklärung zu sorgen, oder ob es zweckmäßiger sei, sich abwartend zu verhalten bis der Aufruhr in sich zusammengebrochen sei. Die Kabinette beschließen, daß Reichspostminister Giesberts und Landwirtschaftsminister Braun sich alsbald nach Rheinland-Westfalen begeben sollen. Eine Verhandlung mit den Kommunisten soll nicht stattfinden. Es sollen vielmehr von den Ministern die bereits in Berlin von der Reichsregierung Vertretern aus Rheinland-Westfalen abgegebenen Erklärungen an Ort und Stelle wiederholt werden.

Der Bevölkerung soll gesagt werden:

  1. Holland liefere keine Lebensmittel, so lange die Kommunistenherrschaft andauere
  2. Bei Fortdauer der Unruhen würde die Entente einmarschieren
  3. Die Regierung Kapp sei endgültig erledigt …. [Vom Ruhrproletariat verlangte die Reichsregierung die so-fortige Rückkehr zur Arbeit und die Waffenabgabe (vgl. das Schreiben des Reichskanzlers Bauer an den Vorsitzenden des Hagener Aktionsausschusses, Josef Ernst , Kapptage im Industriegebiet, S. 29.)

[ Es folgt Tagesordnungspunkt 2) ……]

Festlegung der einzuschlagenden Taktik gegen das siegreiche Ruhrproletariat durch das Reichsministerium und das Preußische Staatsministerium , Berlin, 21. März 1920. DZA Potsdam, Reichskanzlei, Nr. 493, D 744162-744164. Protokoll. Mikrofilm. Anwesenheitsliste: Reichskanzler Bauer , Reichsminister der Justiz Schiffer , Reichsminister des Auswärtigen Müller , Reichswirtschaftsminister Schmidt , Reichsarbeitsminister Schlicke , Reichspostminister Giesberts , Reichsschatzminister……….. Reichsverkehrsminister Dr. Bell , Reichsminister für Wiederaufbau Dr. Geßler , Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei Albert , Gesandter Dr. Riezier , Pressechef Rauscher .
Ferner: Unterstaatssekretär Lewald , Walther , General v. Seeckt , Major v. Stockhausen .
Von Preußen: Ministerpräsident Hirsch und die Minister Fischbeck , Oeser , Südekum , Braun , Stegerwald , Haenisch , Heine , Unterstaatsekretär Göhre und die Abgeordneten Schluchtmann und Meerfeld . Protokollführer: Regierungsrat v. Bornstedt .– in Arbeitereinheit rettet die Republik (1970)