Die Geistlichkeit in Deutschland um 1500

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2. Mai 1500

Die Geistlichkeit, die Repräsentantin der Ideologie des mittelalterlichen Feudalismus, fühlte den Einfluß des geschichtlichen Umschwungs nicht minder. Durch die Buchdruckerei und die Bedürfnisse des ausgedehnteren Handels war ihr das Monopol nicht nur des Lesens und Schreibens, sondern der höheren Bildung genommen. Die Teilung der Arbeit trat auch auf intellektuellem Gebiet ein. Der neuaufkommende Stand der Juristen verdrängte sie aus einer Reihe der einflußreichsten Ämter. Auch sie fing an, zum großen Teil überflüssig zu werden, und erkannte dies selbst an durch ihre stets wachsende Faulheit und Unwissenheit.

Aber je überflüssiger sie wurde, desto zahlreicher wurde sie – dank ihren enormen Reichtümern, die sie durch Anwendung aller möglichen Mittel noch fortwährend vermehrte.

In der Geistlichkeit gab es zwei durchaus verschiedene Klassen. Die geistliche Feudalhierarchie bildete die aristokratische Klasse: die Bischöfe und Erzbischöfe, die Äbte, Prioren und sonstigen Prälaten. Diese hohen Würdenträger der Kirche waren entweder selbst Reichsfürsten, oder sie beherrschten als Feudalherren, unter der Oberhoheit andrer Fürsten, große Strecken Landes mit zahlreichen Leibeignen und Hörigen. Sie exploitierten ihre Untergebenen nicht nur ebenso rücksichtslos wie der Adel und die Fürsten, sie gingen noch viel schamloser zu Werke. Neben der brutalen Gewalt wurden <335> alle Schikanen der Religion, neben den Schrecken der Folter alle Schrecken des Bannfluchs und der verweigerten Absolution, alle Intrigen des Beichtstuhl in Bewegung gesetzt, um den Untertanen den letzten Pfennig zu entreißen oder das Erbteil der Kirche zu mehren. Urkundenfälschung war bei diesen würdigen Männern ein gewöhnliches und beliebtes Mittel der Prellerei. Aber obgleich sie außer den gewöhnlichen Feudalleistungen und Zinsen noch den Zehnten bezogen, reichten alle diese Einkünfte noch nicht aus. Die Fabrikation wundertätiger Heiligenbilder und Reliquien, die Organisation seligmachender Betstationen, der Ablaßschacher wurden zu Hülfe genommen, dem Volk vermehrte Abgaben zu entreißen, und lange Zeit mit bestem Erfolg.

Diese Prälaten und ihre zahllose, mit der Ausbreitung der politischen und religiösen Hetzereien stets verstärkte Gendarmerie von Mönchen waren es, auf die der Pfaffenhaß nicht nur des Volks, sondern auch des Adels sich konzentrierte. Soweit sie reichsunmittelbar, standen sie dem Fürsten im Wege. Das flotte Wohlleben der beleibten Bischöfe und Äbte und ihrer Mönchsarmee erregte den Neid des Adels und empörte das Volk, das die Kosten davon tragen mußte, um so mehr, je schreiender es ihren Predigten ins Gesicht schlug.

Die plebejische Fraktion der Geistlichkeit bestand aus den Predigern auf dem Lande und in den Städten. Sie standen außerhalb der feudalen Hierarchie der Kirche und hatten keinen Anteil an ihren Reichtümern. Ihre Arbeit war weniger kontrolliert und, so wichtig sie der Kirche war, im Augenblick weit weniger unentbehrlich als die Polizeidienste der einkasernierten Mönche. Sie wurden daher weit schlechter bezahlt, und ihre Pfründen waren meist sehr knapp. Bürgerlichen oder plebejischen Ursprungs, standen sie der Lebenslage der Masse nahe genug, um trotz ihres Pfaffentums bürgerliche und plebejische Sympathien zu bewahren. Die Beteiligung an den Bewegungen der Zeit, bei den Mönchen nur Ausnahme, war bei ihnen Regel. Sie lieferten die Theoretiker und Ideologen der Bewegung, und viele von ihnen, Repräsentanten der Plebejer und Bauern, starben dafür auf dem Schafott. Der Volkshaß gegen die Pfaffen wendet sich auch nur in einzelnen Fällen gegen sie.

Wie über den Fürsten und dem Adel der Kaiser, so stand über den hohen und niederen Pfaffen der Papst. Wie dem Kaiser der „“gemeine Pfennig““, die Reichssteuern, bezahlt wurden, so dem Papst die allgemeinen Kirchensteuern, aus denen er den Luxus am römischen Hofe bestritt. In keinem Lande wurden diese Kirchensteuern – dank der Macht und Zahl der Pfaffen – mit größerer Gewissenhaftigkeit und Strenge eingetrieben als in Deutschland. So besonders die Annaten bei Erledigung der Bistümer.

Mit den steigenden Bedürfnissen wurden dann neue Mittel zur Beschaffung des Geldes erfunden: Handel mit Reliquien, Ablaß- und Jubelgelder usw. Große Summen wanderten so alljährlich aus Deutschland nach Rom, und der hierdurch vermehrte Druck steigerte nicht nur den Pfaffenhaß, er erregte auch das Nationalgefühl, besonders des Adels, des damals nationalsten Standes.

in: „Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg“ – geschrieben im Sommer 1850, zuerst in: „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue“, Fünftes und Sechstes Heft, Mai bis Oktober 1850, von Friedrich Engels zuletzt bearbeitet 1875.