Gewerkschaften wollen Generalstreik beenden

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20. März 1920

An alle Arbeiter, Angestellten und Beamten!

Die Vertreterkonferenz der am Generalstreik beteiligten gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten erklärt, daß sie von den durch ihren Verhandlungsausschuß mit den Fraktionsvertretern der Regierungsparteien erzielten Vereinbarungen zwar nicht restlos befriedigt ist, ihnen aber gleichwohl zustimmt und hiermit den Generalstreik mit dem heutigen Tage als beendet erklärt.

Berlin , den 20. März 1920, morgens 7.05 Uhr
Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund , C. Legien –
Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände, S. Aufhäuser –
Deutscher Beamtenbund , Kugler, Scherff –

Das Ergebnis der Verhandlungen über Beendigung des Generalstreiks

Die im preußischen Staatsministerium am Nachmittag des 19. März aufgenommenen und bis zum heutigen Tage, morgens um 5 Uhr, fortgesetzten Verhandlungen zwischen den Vertretern des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände und des Deutschen Beamtenbundes sowie der Berliner Gewerkschaftskommission einerseits und Vertretern der Reichs- und Staatsministerien sowie der drei Regierungsparteien andererseits haben zu nachstehenden Vereinbarungen geführt:

  1. 1. Die anwesenden Vertreter der Regierungsparteien werden bei ihren Fraktionen dafür eintreten, daß bei der bevorstehenden Neubildung der Regierung im Reich und in Preußen die Personenfrage von den Parteien nach Verständigung mit den am Generalstreik beteiligten gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten gelöst und daß diesen Organisationen ein entscheidender Einfluß auf die Neuregelung der wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetze eingeräumt wird, unter Wahrung der Rechte der Volksvertretung
  2. Sofortige Entwaffnung und Bestrafung aller am Putsch oder am Sturz der verfassungsmäßigen Regierungen Schuldigen sowie der Beamten, die sich ungesetzlichen Regierungen zur Verfügung gestellt haben.
  3. Gründliche Reinigung der gesamten öffentlichen Verwaltungen und Betriebsverwaltungen von gegenrevolutionären Persönlichkeiten, besonders solche in leitenden Stellen, und ihren Ersatz durch zuverlässige Kräfte. Wiedereinstellung aller in öffentlichen Diensten aus politischen und gewerkschaftlichen Gründen gemaßregelten Organisationsvertreter
  4. Schnellste Durchführung der Verwaltungsreform auf demokratischer Grundlage unter Mitbestimmung auch der wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten.
  5. Sofortiger Ausbau der bestehenden und Schaffung neuer Sozialgesetze, die den Arbeitern, Angestellten und Beamten volle soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung gewährleisten. Schleunige Einführung eines freiheitlichen Beamtenrechts
  6. Sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige unter Zugrundelegung der Beschlüsse der Sozialisierungskommission, zu der Vertreter der Berufsverbände hinzuzuziehen sind. Die Einberufung der Sozialisierungskommission erfolgt sofort. Übernahme des Kohlen- und des Kalisyndikats durch das Reich.
  7. Auflösung aller der Verfassung nicht treu gebliebenen konterrevolutionären militärischen Formationen und ihre Ersetzung durch Formationen aus den Kreisen der zuverlässigen republikanischen Bevölkerung, insbesondere der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten, ohne Zurücksetzung irgendeines Standes. Bei dieser Reorganisation bleiben erworbene Rechtsansprüche treu gebliebener Truppen und Sicherheitswehren unangetastet
  8. Wirksame Erfassung, gegebenenfalls Enteignung der verfügbaren Lebensmittel und verstärkte Bekämpfung des Wuchers und Schiebertums in Land und Stadt. Sicherung der Erfüllung der Ablieferungsverpflichtung durch Gründung von Lieferungsverbänden und Verhängung fühlbarer Strafen bei böswilliger Verletzung der Verpflichtung.

Im übrigen wird mitgeteilt, daß die Minister Noske und Heine Ihr Abschiedsgesuch bereits eingereicht haben. Ferner erklärten sich die Vertreter der Regierungsparteien bereit, in ihren Fraktionen auf unverzügliche Aufhebung der Schutzhaft der in ihr Befindlichen zu dringen. Mit wuchtigen Schlägen hat das arbeitende Volk Deutschlands, insonderheit das Berlins, den monarchistischen Putsch niedergeschlagen und die republikanische Freiheit gerettet. Darüber hinaus sicherte sich die organisierte Arbeiterschaft weitgehenden Einfluß auf die Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und schuf Garantien für die Verhütung gegenrevolutionärer Erfolge. Glänzend hat sich in diesem Kampfe die Organisation des arbeitenden Volkes bewährt. Sie muß und wird auch in Zukunft unser stärkstes Bollwerk sein.

Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes , C. Legien

Kundgebung des ADGB, der AfA und des Deutschen Beamtenbundes vom 20. März 1920 über die Beendigung des Generalstreiks – IML, ZPA, D. P. VI/13/3, Flugblatt. – Als in der Nacht vom 17. zum 18. März — nach der Vertreibung der Kapp-Putschisten — Vizekanzler Schiffer zur Beendigung des Generalstreiks aufforderte, antworteten die Gewerkschaftsverbände vorerst mit einem Aufruf zur Fortsetzung des Streiks. Auf der Grundlage eines Neun-Punkte-Programms vom 18. März, das im wesentlichen den acht Forderungen des vorliegenden Dokuments entsprach, erfolgten die Verhandlungen vom 19. bis 20. März.
Im Neun-Punkte-Programm enthielt der Punkt 1 die weitergehende Forderung nach entscheidendem Einfluß der Gewerkschaften auf die Umgestaltung der Regierung im Reich und in den Ländern. Die Forderung im Punkt 3 nach sofortigem Rücktritt des Reichsministers Gustav Noske (SPD) sowie der preußischen Minister Rudolf Oeser (DDP) und Wolfgang Heine (SPD) fand nach den Verhandlungen keine Aufnahme mehr, da Noske und Heine auf Grund der Proteste der Massen ihren Rücktritt bereits eingereicht hatten. Die Forderung im Punkt 8 nach sofortiger Vorlage eines Enteignungsgesetzes gegen die die Lebensmittelversorgung sabotierenden Grundbesitzer werden fallengelassen. Die acht Punkte des vorliegenden Dokuments bildeten auch die Grundlage des Bielefelder Abkommens
(siehe  Bielefelder Abkommen ). – in Arbeitereinheit rettet die Republik (1970)