Der Bürgergeneral – Das System Noske

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5. August 1920

Die Intelligenz, die gesamte anständige Arbeiterklasse ist sich über die Ethik eines Mannes klar, der, viel zu dumm, den revolutionären Gedanken des Antimilitarismus zu begreifen, seine frühem Klassengenossen durch ihre erbittertsten Feinde im Namen der Republik erschießen, erstechen, einsperren, ins Wasser werfen, treten und beleidigen ließ. Wie ein Schrei ging das im März 1919 durch das Land: Der Mann muß weg! Man enthob ihn offiziell seines Amtes, ließ ihn widerrechtlich in seiner Dienstwohnung hausen und hat ihn nun zum Oberpräsidenten der Provinz Hannover ernannt. Die Hannoveraner müssen das als eine Provinzial-Angelegenheit mit sich abmachen. Ich weiß nicht, ob sie so sehr damit einverstanden sind, diese Type als ihr Oberhaupt zu verehren.

Wir andern aber sprechen vor uns und vor dem Ausland aus: Es gibt zwei Preußen. Verwechselt uns nicht mit denen da: so sind wir nicht. Verwechselt uns nicht mit ihnen, die einem miserablen Individuum die schlechte Ethik nachsehen (das wäre noch verständlich) – die ihm aber auch die schlechte Geschäftsführung nachsehen und den politischen Unverstand und eine Kurzstirnigkeit, die ein halbes Land ins Verderben riß. Und die ihm das alles nachsehen, nur, weil er einmal mit ekelhaft verspritztem Blut, Weiberleichen und langen Zuchthausjahren ihre Banken beschirmte. Er häufte Fehler auf Fehler, er stolperte sogar über seine eignen Mißgriffe und fiel.

Sie haben ihm verziehen. Sie rechneten dem kleinen Geschäftemacher Erzberger jeden halben Pfennig nach und besonders die Hunderttausende, die er nicht verdient hat: Diesem, der keine staubigen, der rote Finger hat, haben sie verziehen.

Die Schufte, die unter Napoleon durch ihre Schuftigkeit etwas geworden sind, waren Formate. Es genügt heute, in Preußen ein kleiner Bürgergeneral zu sein, um Oberpräsident zu werden.

Ignaz Wrobel ( Kurt Tucholsky ) Die Weltbühne, 05.08.1920, Nr. 32, S. 171.