Besprechung bei Reichskanzler Bauer zur Bildung einer Arbeiterregierung

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22. März 1920

Am 22. März 1920, nachmittags 2 Uhr 30 Min., fand beim Herrn Reichskanzler eine Sitzung mit Vertretern der Gewerkschaften und der beiden sozialdemokratischen Fraktionen statt. Hierbei trug Legien die Forderungen vor, die 1. auf Verhandlung mit den bürgerlichen Parteien über Bildung einer reinen Arbeiterregierung und 2. auf Säuberung der Truppen und der Sicherheitswehr und ihre Entfernung aus den Berliner Straßen gingen.

Crispien führte aus: Die Frage der Regierungsbildung steht für uns nicht in erster Linie. Wir haben keine besondere Eile. Die Verhältnisse entwickeln sich von selbst in unserem Sinne. Niemand kann gegen die Arbeiter regieren. In eine Koalitionsregierung würden wir niemals eintreten. Die Zentrale der KPD steht auf unserem Boden (2): an eine Rätediktatur ist nicht zu denken.

Eine reine Arbeiterregierung ist in Deutschland durchaus möglich. Sie hat die Gewerkschaften, Fraktionen, Angestelltenverbände usw. hinter sich. Ihr Programm würde enthalten: Sozialisierungen, Einziehung der Hohenzollerngüter und der Rebellengüter, aber Schutz des Eigentums im übrigen; die Bauern behalten ihre Güter; praktische Maßnahmen in der Arbeiterfürsorge, reale Erfüllung des Friedensvertrags, aber Versuch, ihn zu mildern. — Bürgerliche würden nicht als Parteivertreter eintreten dürfen, höchstens als Vertreter der christlichen Arbeiter usw.

Brennender ist die sachliche Frage. Die Regierung hat selbst zum Generalstreik aufgerufen. Von Seeckt soll erklärt haben, daß man jetzt gegen links vorgehen müsse. Oberst Reinhard und Kessel sind noch da sowie andere, die kein Vertrauen genießen. Die Säuberung des Militärs muß energisch fortgesetzt werden. Die Arbeiter haben sich zum Teil kräftige Positionen erobert. Die Regierung hat die Ehrenpflicht, nicht mit Gewalt dagegen vorzugehen.

Im Laufe der weiteren Aussprache erklärten Reichskanzler Bauer und Minister Müller, daß die Frage der Arbeiterregierung mit den bürgerlichen Parteien besprochen werden müsse. Minister Müller fügte hinzu, daß wir dem Ausland gegenüber mit einer Arbeiterregierung nicht durchkämen. Das Ausland verlange eine Regierung mit den Mittelparteien.

Hilferding erklärte, die Arbeiter brauchten reale Garantien, weil ihre Forderungen bisher in rechtsverbindlicher Weise nicht angenommen seien. Das Ganze müsse sich im Rahmen der Verfassung abspielen.

Reichskanzler Bauer machte am Schluß folgende Zusicherungen:

  1. Er werde dafür eintreten, daß die Reichswehr aus Berlin zurückgezogen werde und nur das Regierungsviertel besetzt bliebe
  2. Er werde ferner dafür eintreten, daß die Sicherheitswehr durch Arbeiter ergänzt werde
  3. Er  werde mit der Fraktion und den bürgerlichen Fraktionen über Bildung einer reinen Arbeiterregierung verhandeln
  4. er werde für die Aufhebung des verschärften Belagerungszustandes in Berlin eintreten.

Aufzeichnung einer Besprechung bei Reichskanzler Bauer zur Bildung einer Arbeiterregierung Berlin, vermutlich 22. März 1920. Bundes-A. Koblenz, R 43 I, Nr. 683, Bl. 111–112. Ohne. Unterschrift. Ms. — (l)

Die hier erwähnten Verhandlungen stellen die 2. Phase in der Diskussion um die Bildung einer Arbeiterregierung dar. Legien hatte bereits am 17./18. März 1920, der Massenstimmung folgend, dem Parteivorstand der USPD den Eintritt in eine Arbeiterregierung angeboten. Von Verhandlungen mit den bürgerlichen Parteien war zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede gewesen — Vgl. dagegen die Stellung der KPD zu einer Arbeiterregierung – vgl. auch Pieck, Wilhelm, Gesammelte Reden  und Schriften, Bd. II, Berlin 1959, S. 29–35. — in Arbeitereinheit rettet die Republik (1970)