Zwei Erschlagene: Liebknecht und Rosa Luxemburg

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16. Januar 1919

Der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zu Berlin in Liebe und Verehrung

Märtyrer . . . ? Nein.
Aber Pöbelsbeute.
Sie wagtens. Wie selten ist das heute
Sie packten zu, und sie setzten sich ein
sie wollten nicht nur Theoretiker sein.

Er: ein Wirrkopf von mittleren Maßen
er suchte das Menschenheil in den Straßen
Armer Kerl: es liegt nicht da
Er tat das Seine, wie er es sah
Er wollte die Unterdrückten heben
er wollte für sie ein menschliches Leben
Sie haben den Idealisten betrogen
den Meergott verschlangen die eigenen Wogen
Sie knackten die Kassen, der Aufruhr tollt –
Armer Kerl, hast du das gewollt?

Sie: der Mann von den zwei beiden
Ein Leben voll Hatz und Gefängnisleiden
Hohn und Spott und schwarz-weiße Schikane
und dennoch treu der Fahne, der Fahne!
Und immer wieder: Haft und Gefängnis
und Spitzeljagd und Landratsbedrängnis.
Und immer wieder: Gefängnis und Haft –
Sie hatte die stärkste Manneskraft

Die Parze des Rinnsteins zerschnitt die Fäden
Da liegen die beiden am Hotel Eden
Bestellte Arbeit? Die Bourgeoisie?
So tatkräftig war die gute doch nie …
Wehrlos wurden zwei Menschen erschlagen

Und es kreischen Geier die Totenklagen
Gott sei Dank! Vorbei ist die Not!
»Man schlug«, schreibt einer, »die Galizierin tot.«
Wir atmen auf! Hurra Bourgeoisie!
Jetzt spiele dein Spielchen ohne die!

Nicht ohne! Man kann die Körper zerschneiden.
Aber das eine bleibt von den beiden:

Wie man sich selber die Treue hält,
wie man gegen eine feindliche Welt
mit reinem Schilde streiten kann,
das vergißt den beiden kein ehrlicher Mann!

Wir sind, weiß Gott, keine Spartakiden.
Ehre zwei Kämpfern!
Sie ruhen in Frieden!

Kaspar Hauser (Kurt Tucholsky) in:  Die Weltbühne, 23.01.1919, Nr. 4, S. 97, wieder in: Fromme Gesänge.