Pension für die Mörder

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7. Januar 1925

Das Reichsversorgungsgericht hatte am 7. Januar 1925 darüber zu entscheiden, ob der Witwe eines Drehers, der sich an den Kämpfen der bewaffneten Arbeiterschaft gegen die Kapp-Truppen beteiligt hatte und hierbei tödlich verwundet worden war, eine Hinterbliebenenrente zu bewilligen sei. Der Ausschuß zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden in Kiel hatte der Witwe mit Bescheid vom 31. August 1921 eine Hinterbliebenenrente bewilligt. Gegen diesen Bescheid legte der Vertreter des Reichsfiskus Beschwerde ein mit dem Antrag, ihn aufzuheben und den Rentenanspruch der Witwe zurückzuweisen. Das Gericht stellt zunächst fest, daß die Kämpfe in Kiel, bei denen der Dreher den Tod gefunden hatte, als innere Unruhen im Sinne des Tumultschädengesetzes anzusehen seien.

Es sei jedoch zu prüfen, ob bei dem Verstorbenen ein den Entschädigungsanspruch ausschließendes Verschulden vorliege. Ein Verschulden wäre zu verneinen, wenn B. zur Teilnahme an dem Kampf berechtigt gewesen wäre oder sich insoweit in gutem Glauben befunden hätte.“,“Das Reichsversorgungsgericht verneinte sowohl die Berechtigung zur Teilnahme am Kampf als auch den guten Glauben. In der Begründung heißt es:

Die Berechtigung des B., mitzukämpfen, leiten seine Hinterbliebenen aus einer angeblichen Aufforderung der Reichsregierung her, den Kapp-Putsch niederzuschlagen. Der nach den erhobenen Ermittlungen allein in Frage kommende Aufruf lautet:
»Berlin, den 13. März 1920 Arbeiter, Genossen!
Der Militärputsch ist da. Die Marinedivision Ehrhardt marschiert auf Berlin, um eine Umgestaltung der Reichsregierung zu erzwingen. Wir weigern uns, uns diesem militärischen Zwange zu beugen. Wir haben die Revolution nicht gemacht, um das blutige Landsknechtsregiment heute wieder anzuerkennen. Wir paktieren nicht mit den Baltikum-verbrechern.
Arbeiter, Genossen! Wir müßten uns vor euch schämen, wenn wir anders handeln würden. Wir sagen Nein und nochmals Nein! Ihr müßt uns bestätigen, daß wir in eurem Sinne gehandelt haben. Jedes Mittel ist gerecht, um die Wiederkehr der blutigen Reaktion zu verhindern.
Streikt, legt die Arbeit nieder und schneidet dieser Militärdiktatur die Luft ab. Kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik. Laßt alle Spaltung beiseite. Es gibt nur ein Mittel gegen die Wiederkehr Wilhelms II.: Lahmlegung des Wirtschaftslebens, keine Hand darf sich mehr rühren, kein Proletarier darf der Militärdiktatur helfen, Generalstreik auf der ganzen Linie. Proletarier vereinigt euch! Die sozialdemokratischen Mitglieder der Reichsregierung. Ebert, Bauer, Noske, Schlicke, Schmidt, David, Müller.
Der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Wels.«

Dieser Aufruf ist, soweit ermittelt, amtlich nicht veröffentlicht worden. Auf eine Anfrage des erkennenden Senats in einer früher entschiedenen Versorgungssache hat der Staatssekretär in der Reichskanzlei unter dem 3. Mai 1924 (Rk. 3373) dem Reichsversorgungsgericht Abschrift des oben wiedergegebenen Aufrufs mit der Hinzufügung übersandt, daß der Aufruf, wie aus ihm hervorgehe, nicht von der damaligen Reichsregierung erlassen sei. Soweit bekannt, hätten seinerzeit auch die sozialdemokratischen Mitglieder der damaligen Reichsregierung erklärt, daß ihre Namen ohne ihr Zutun unter den Aufruf gesetzt worden seien.

Die damals in Kiel kämpfende Zivilbevölkerung war also tatsächlich nicht von den maßgebenden Regierungsstellen zum Kampfe aufgefordert worden. Fraglich kann es nur sein, ob B. in dem guten Glauben handelte, einen Befehl der Reichsregierung auszuführen. Diese Frage hat der Senat verneint.

Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist die Polizei und notfalls das Militär berufen. Wenn auch zugegeben werden kann, daß in Zeiten der Staatsumwälzung die Annahme berechtigt sein mag, die Polizei oder das Militär vollziehen zeitweilig nicht den Willen der Reichsregierung, so muß stets von der Zivilbevölkerung verlangt werden, daß sie prüft, ehe sie sich an Kämpfen beteiligt, ob sie von der Regierung zum Kampfe aufgerufen worden ist. Es war im vorliegenden Falle aber für jedermann ohne Rechtskenntnis erkennbar, daß der oben wiedergegebene Aufruf, wie schon die Anrede und die Unterschrift ergibt, sich nur an einen enggezogenen und bestimmten Kreis der Bevölkerung wandte und nur von einer einzigen politischen Partei, aber nicht von der Regierung ausging. Es kann daher nicht unterstellt werden, daß B. beim Kampfe gegen das Militär in dem guten Glauben war, den Willen der Reichsregierung zu vollziehen. Der Glaube eines Tumultbeschädigten, auf Grund des von den sozialdemokratischen Mitgliedern der Reichsregierung und von dem Parteivorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands unterzeichneten Aufrufs vom 13. März 1920 zum Kampfe für die bestehende Verfassung berechtigt zu sein, schließt somit ein Verschulden im Sinne des § 5 des Tumultgesetzes und des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht aus. Ebensowenig ist ein Verschulden ausgeschlossen, wenn jemand ohne den Versuch, sich von Inhalt und Herkunft des Aufrufs irgendeine Kenntnis zu verschaffen, sich am Kampfe beteiligt, lediglich im Vertrauen auf die mehr oder weniger verbreitete Ansicht, >die Regierung« habe zum Kampf aufgerufen. Da also dem B. der durch seine Tötung verursachte Schaden in vollem Umfange selbst zur Last fällt, mußte den Hinterbliebenen eine Entschädigung versagt werden. Demnach war entsprechend dem Antrag des Reichsfiskus der angefochtene Bescheid aufzuheben und der erhobene Anspruch zurückzuweisen.?

So sah also der »unvergängliche Dank des Vaterlandes« aus, den Reichskanzler Bauer am 18. März 1920 allen Helfern und Mitstreitern im Kampf gegen die Kapp-Putschisten ausgesprochen hatte.
Scheidemann hatte in derselben Sitzung der Nationalversammlung unter dem Beifall des gesamten Hauses ausgerufen:. Hut ab vor denen, die für die Freiheit gekämpft haben und für die Freiheit gestorben sind.«

Aber anderthalb Jahre später wendet sich der Vertreter des Reichsfiskus gegen den der Witwe eines im Kampf gegen die Hochverräter gefallenen Arbeiters bewilligten Rentenanspruch und findet bei den Juristen des Reichsversorgungsgerichts Unterstützung mit der Auffassung, daß jener Dreher B. aus Kiel an seinem Tode selber schuld sei, weil der Aufruf zum Kampf gegen die Hochverräter nicht von allen Mitgliedern der Reichsregierung unterzeichnet worden sei. Daß die Verteidigung der demokratischen republikanischen Staatsverfassung gegenüber Hochverrätern sich von selbst versteht, ohne daß es eines Aufrufes der (bei einem Putsch regelmäßig in ihrer Handlungsfreiheit beschränkten) Regierung bedarf, wollte in die Köpfe von Richtern nicht hinein, denen die Aufgabe zugefallen war, im Namen eines Volkes Recht zu sprechen, dessen politischen Willen sie innerlich ablehnten. Typisch für die obrigkeitliche Denkweise der Richter ist etwa der Satz, daß zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Polizei und notfalls das Militär berufen sei, eine Feststellung, die der Bevölkerung eines demokratischen Staates das Recht absprechen will, notfalls auch gegen treulose Polizei und treuloses Militär die Staatsverfassung zu verteidigen. Im vorliegenden Fall hatte der Militärbefehlshaber in Kiel, Admiral von Levetzow, sich am 13. März 1920 hinter die Kapp-Regierung gestellt und den Posten des Oberpräsidenten und des Polizeipräsidenten mit seinen Anhängern besetzt. Die »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« der Polizei und dem Militär zu überlassen, hätte also hier bedeutet, die demokratische Staatsverfassung und die rechtmäßige Reichsregierung preiszugeben.

Nicht einmal den guten Glauben, rechtmäßig zu handeln, wollte das Reichsversorgungsgericht dem Dreher B. bescheinigen. Aber nie haben deutsche Gerichte gezögert, denen guten Glauben zu bestätigen, die unter Verstoß gegen elementarste Grundsätze der Menschlichkeit republikanisch gesinnte Arbeiter umgebracht haben. Auch jene Schweriner Strafkammer, die am 19. Januar 1923 über die Strafverfolgung der Mörder der Arbeiter Wittge, Steinfurth und Slomsky zu befinden hatte und dabei trotz allem Wohlwollen einige Schwierigkeiten mit den sachlich unzutreffenden und unhaltbaren Urteilsgründen des >Standgerichts< hatte, trug keine Bedenken, den angeschuldigten Offizieren »guten Glauben« zuzubilligen:
Auch in ihrem guten Glauben sind die Angeschuldigten… schwerlich zu widerlegen, mögen auch die Anordnungen ihrer vorgesetzten Dienststellen auf noch so ungesetzlichem und widerrechtlichem Boden gestanden haben.

Freilich, unter diesen Anordnungen fehlte keine Unterschrift. Daß es die Unterschriften von Hochverrätern waren, konnte für Richter, deren Sympathien nicht auf seilen der republiktreuen Arbeiter, sondern auf Seiten der reaktionären Verfassungsfeinde standen, keine Rolle spielen.
Im Gegensatz zu den Hinterbliebenen des Drehers B., denen derselbe Staat, für den dieser Arbeiter sein Leben gelassen hatte, eine Rente streitig machte, konnten General von Lüttwitz und Herr von Jagow ihre Pensionsansprüche gegen denselben Staat, dessen Verfassung sie durch Hochverrat hatten stürzen wollen, mit Erfolg einklagen. Lüttwitz erhielt seine Pension rückwirkend vom Zeitpunkt des Kapp-Putsches, zum Teil sogar aufgewertet. Die Republik zahlte dem Hochverräter – vom. Reichsgericht dazu verurteilt – jährlich 16 983 Mark.
Der völlige Zusammenbruch des Kapp-Putsches brachte noch einmal eine Sternstunde der deutschen Arbeiterschaft, die sich in einmütiger Geschlossenheit als die stärkste Macht im Staate erwiesen hatte. Wilhelm Hoegner* schreibt:
* Prof. Dr. Wilhelm Hoegner, geb. 1887, in der Weimarer Republik als Staatsanwalt und Richter tätig. Von 1924 bis< 1932 Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion des Bayerischen Landtag», von 1930 bis» 1933 auch Reichstagsabgeordneter. 1933 Auswanderung zunächst nach Österreich, 1934 in die Schweiz, Nach dem Zweiten Weltkrieg zweimal Bayerischer Ministerpräsident. Heute Vizepräsident des Bayerischen Landtags.
Die Solidarität der Werktätigen hatte über rohe bewaffnete Gewalt, über die Gestalten der Vergangenheit gesiegt… Das Offizierskorps der alten kaiserlichen Armee, das zum großen Teil gemeutert hatte, konnte keine Schonung erwarten. Seine Ausmerzung aus der Wehrmacht des Reiches schien eine Selbstverständlichkeit. Was nach der Revolution von 1918 nicht gelungen war, die Schaffung eines in der Hauptsache aus organisierten Arbeitern zusammengesetzten Volksheeres, mußte nunmehr gelingen. Zum ersten Male waren bewaffnete Arbeiter gegen Reichswehr siegreich gewesen, eine wohlorganisierte Arbeiterarmee war in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft worden und hatte auch ohne Führung von Generalstäblern glänzende militärische Eigenschaften bewiesen. Noch einmal war in der Waage de» Schicksals die Schale der Revolution niedergegangen, durch die Torheit der Gegner dem deutschen Proletariat noch einmal die große geschichtliche Stunde geschenkt.
Philipp Scheidemann sprach nur ein selbstverständliches Gebot der Stunde aus, wenn er in der Nationalversammlung am 18. März 1920 erklärte:
Wir verlangen die gründliche Säuberung der Reichswehr… Wir verlangen die Entlassung aller Offiziere, deren Loyalität gegenüber der Republik nicht außer Zweifel steht. Wir verlangen die Entwaffnung der Truppen, die gemeutert haben … Wir verlangen aber auch gründliche Auskehr in Zivilbehörden. Wer seiner monarchistischen Überzeugung wegen der Republik nicht loyal dienen kann, der mag gehen … Wir verlangen strengste Bestrafung der Verbrecher, die die Republik in so heimtückischer Weise aus dem Hinterhalt überfallen haben, die unser ganzes Wirtschaftsleben erschüttert und über das Volk neues Elend, neue Not und Tod gebracht haben, schärfste Bestrafung dieser Verbrecher in denkbar schnellstem Verfahren, sowie restlose Konfiskation ihrer Vermögen, das ist unsere Forderung .. .9
Aber die Männer, die in dieser historischen Stunde die Geschicke des deutschen Volkes leiteten, ließen auch ein zweites Mal aus Angst vor dem Kommunismus die Chance ungenutzt, die junge Republik aus den Händen ihrer Feinde von rechts zu befreien. Hoegner: »Auch die zweite geschichtliche Stunde des deutschen Proletariats wurde versäumt.«10 Keines der Versprechen, zu denen die Reichsregierung und die Sprecher der demokratischen Parteien nach dem Sieg der Arbeiterschaft über die reaktionären Militärgewalten bereit waren und die im Bielefelder Abkommen* vom 23. März 1920 zwischen Vertretern der Regierungsparteien und den Gewerkschaften nochmals bestätigt worden waren, ist eingelöst worden. Insbesondere war das Versprechen, die konterrevolutionären militärischen Einheiten aufzulösen und durch Formationen aus den Kreisen der zuverlässigen republikanischen Bevölkerung zu ersetzen, schon wenige Tage später, nachdem die Gewerkschaften im Vertrauen auf diese Zusicherungen den Streik abgebrochen hatten, nur noch ein Fetzen Papier. Verletzungen des Bielefelder Abkommens boten den Vorwand zu einem nach Lage der Dinge unerfüllbaren Ultimatum der Reichsregierung, dessen Ausführungsbestimmungen derselbe General v. Watter erlassen durfte, der nicht bereit gewesen war, sich in den Kapp-Tagen eindeutig für die legale Reichsregierung zu erklären. Am 2. April erfolgte unter seinem Oberbefehl der Einmarsch der Reichswehr in das Ruhrgebiet. Dieselben republikfeindlichen Reichswehrverbände, gegen die sich die deutsche Arbeiterschaft zum Schütze der Republik erhoben hatte, durften nunmehr zur »Wiederherstellung geordneter Verhältnisse« ihr Schreckensregiment über die republikanisch gesinnte Bevölkerung ausüben und sich für ihre Niederlage an einer entwaffneten Arbeiterschaft rächen. Im Ruhrgebiet, in Thüringen, in Mecklenburg, Schlesien und anderen Teilen des Reiches tobte sich der »weiße Schrecken« der sogenannten Regierungstruppen aus. Und die Justiz hielt eine juristische Nachlese dieses Trauerspiels, die alle, die in den Märztagen des Jahres 1920 die demokratische Republik gegen reaktionäre Militärgewalt verteidigt hatten, aufs tiefste erbittern mußte.
Offiziere der Reichswehr, als Hüter einer >0rdnung<, die dem konterrevolutionären obrigkeitsstaatlichen Bewußtsein der Richter und der dem Bürgerstand entnommenen Schöffen und Geschworenen näherstand als die sozialistische demokratische Ordnung, für die die Arbeiterschaft damals kämpfte, konnten sicher sein, daß die Justiz keine Möglichkeit ungenutzt lassen würde, um sie der nach dem Gesetz verwirkten Strafe selbst dann zu entziehen, wenn sie sich des Mordes oder Totschlags schuldig gemacht hatten. Wenn es hingegen um die Aburteilung von Widerstandskämpfern gegen verfassungsfeindliche Reichswehrverbände ging, arbeitete die Justizmaschinerie mit rigoroser Härte und Schnelligkeit – notfalls mit vorgedruckten Serienurteilen – und stopfte die unverzüglich verhafteten Arbeiter zu Tausenden in die überfüllten Gefängnisse.
* Die wichtigsten Punkte des Bielefelder Abkommens: Gründliche Reinigung der gesamten öffentlichen Verwaltungen von gegenrevolutionären Persönlichkeiten; Auflösung aller der Verfassung nicht treugebliebenen militärischen Formationen; sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige. Verhängnisvoll für die Arbeiterschaft war die Bedingung, alle Waffen sofort (also als Vorleistung) abzuliefern. Einzelne Verstöße gegen diese Bedingung boten den Vorwand, die wichtigste Zusage des Abkommens nicht einzuhalten: daß die Reichswehr nicht ins rhei-nisch-westfälische Industriegebiet einmarschieren werde. Auch das (nicht mit der Wafienablieferung verknüpfte) Versprechen, daß den Arbeitern, die an den Kämpfen teilgenommen hatten, keine »Nachteile oder Belästigungen wegen ihrer Teilnahme erwachsen« dürften, ist nicht eingehaltcn worden. —

Der vollständige Text des Bielefelder Abkommen« ist mitgeteilt bei Severing: 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel.

Heinrich Hannover, 1960