Revolutionslexikon: Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes vom März-April 1920

| 1921

1921 erschienen. Das schmale Buch Ist die Doktorarbeit eines Düsseldorfer Soziologen aus bürgerlichem Elternhaus (der Vater war Oberlandesgerichtsrat), der später vom Statistischen Reichsamt In Berlin angestellt wurde, dann zum Institut für Weltwirtschaft in Kiel ging, 1933 nach den USA emigrierte und dort zum Chief Economist der National PIanning Association In Washington aufstieg.

Colm hat führende Personen der Arbeiterparteien und der ,,Roten Armee“, die ausnahmslos heute nicht mehr leben, interviewt oder mit ihnen korrespondiert und hat dabei, anders als Zickler, auch den Kontakt zu Kommunisten nicht gescheut. Bei dieser Gelegenheit hat er Einblick in Dokumente genommen, die heute nicht mehr erhalten sind, z. B. die Protokolle des Essener Zentralrats. Dadurch ist das Buch heute wertvolle Primarquelle.

Leider hat Colm 1933, bevor er Deutschland verließ, alle Unterlagen und Vorstudien vernichtete so daß alles, was er nicht in die Endfassung aufgenommen hat, endgültig verloren Ist. In seinen analytischen Fragestellungen wie in seinen systematischen Darlegungen Ist das Buch ungewöhnlich anregend und aufschlußreich. Das heißt nicht, daß wir mit allen seinen Thesen übereinstimmen.

Zum Beispiel unterscheidet Colm an einer zentralen Stelle unter dem Einfluß von Max Weber (der die Arbeit übrigens kurz vor seinem Tode selbst angeregt hatte) den „bürokratischen“ und den „demagogischen“ Führer (die letztere Bezeichnung entgegen dem üblichen Sprachgebrauch.

Der bürokratische Führer wirkt auf der Basis rationaler Überlegung im Rahmen einer „Organisation“, d.h. einer Form der Vergesellschaftung, die ebenfalls rational konstruiert ist zur „planmäßigen Erstrebung festgesetzter Zwecke“ (Partei, Gewerkschaft; der demagogische Führer wirkt in einer „Masse“, die sich zusammen findet „auf Grund momentaner, durch wechselseitige „Ansteckung“ verstärkter Erlebnisse“, kurz gesagt also auf der Basis des Affekts.

Colm sieht richtig, daß in dem Verhältnis von Organisation und Spontanität ein zentrales Problem liegt; wir glauben jedoch nicht, daß es mit diesen Kategorien zutreffend untersucht werden kann. Trotz dieser Einschränkung (und ähnlicher, die hier nicht ausgeführt werden sollen) ist das Buch von Colm das Beste, was in den 50 Jahren seither über den Ruhraufstand geschrieben worden ist.

( in Erhard Lucas : Märzrevolution im Ruhrgebiet , Band I )